Die letzten Monate haben uns gezeigt, dass es nicht immer nur bergauf gehen kann. Der Trend hin zu höher, schneller und weiter wurde abrupt gestoppt. Damit konnten viele Menschen zunächst nicht umgehen, sie fühlten sich, als hätte ihnen jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Schnell kamen Stimmen auf, die auf die zahlreichen positiven Aspekte der plötzlichen Entschleunigung unseres Lebens hinwiesen. Doch ist das nicht reine Illusion? Ist diese Gesellschaft nicht längst auf ein stetiges Wachstum angewiesen, ohne diese unsere Wirtschaftsordnung zusammenbrechen würde? Zunächst schienen viele der Vollbremsung Gutes abgewinnen zu können.
Rückbesinnung auf das Wesentliche
Die Menschen haben zu Beginn wieder die einfachen Dinge des Lebens kennen und schätzen gelernt. Plötzlich war das Backen angesagt wie nie, Spaziergänge in der freien Natur gehörten zum täglichen Ritual. Die Kommunikation mit Freunden wurde wieder so wichtig, wie nie zuvor. Die wichtigsten Menschen und ihre Bedürfnisse rückten in den Vordergrund. Dabei bot sich für viele die Gelegenheit neues zu entdecken oder damit in Ruhe zu beginnen. Das waren Bücher und Netflix ebenso, wie Gesellschaftsspiele. Ob alleine oder im Kreise der Lieben, das Zusammensein entwickelte sich plötzlich zum Zentrum der eigenen Aufmerksamkeit.
Transformation in die Matrix
Dabei zeigte sich gleichzeitig, wie weit fortgeschritten die digitale Welt mittlerweile ist. So dürfte es nicht jedem aufgefallen sein, dass man Meetings auch per Videokonferenz-Software, wie beispielsweise Skype, abhalten kann. Zahlreiche Supermärkte bieten eine Online-Bestellung an und liefern bargeldlos direkt vor die Haustür. Wer gerne abends ausgeht, konnte sich mithilfe von Zoom eine online Party organisieren. Überhaupt war für das Thema Unterhaltung immer gesorgt. Schließlich simuliert auch ein Online Casino, wie jenes von PokerStars mit echten Dealern und Kommunikation per Webcam, das echte Leben. Die Filmverleiher boten aktuelle Kinofilme früher als gewohnt per Streaming an. Selbst das Fitnessstudio zu Hause war plötzlich wieder gut besucht. Die staunende Öffentlichkeit nahm zur Kenntnis, dass die echte Welt, längst ein großes Standbein in der digitalen Welt gefunden hat.
Verzicht bedeutet Verlust
Doch auf das Staunen folgte recht bald die Ernüchterung. Entgegen den Prognosen mancher Zukunftsforscher stellten viele Menschen bald fest, dass Verzicht sehr wohl Verlust bedeuten kann. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt gaben rasch Anlass zur Sorge. Dass diese nicht unbegründet war, zeigen die Entwicklungen der letzten Tage. Aller positiver Energie und Bemühungen zum Trotz hängt die Wirtschaft in ihrer größten Krise seit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2007 fest. Die verstärkten zwischenmenschlichen Bindungen, von denen viele zunächst begeistert waren, haben sich in Ärger, Frust und Aggression verwandelt. Die kurzfristige Kultur der Erreichbarkeit und Verbindlichkeit ist auf dem besten Weg wieder zu verschwinden. Wer zunächst noch frisch und voller Tatendrang wirkte, macht sich nun berechtigte Sorgen um die Zukunft. Die Gegenwart beweist uns nun, dass wir alle auf einen funktionierenden Wirtschaftskreislauf angewiesen sind. Die Systeme sind längst zu stark miteinander verwoben, als dass man sie abgetrennt in lokalen Bahnen führen könnte.
Kein Weg zurück?
Selbstverständlich werden die Ereignisse zu Beginn des Jahres eine Transformation auslösen. Doch diese wird sicherlich auf einige wenige Bereiche beschränkt bleiben. Was der Verlust des eigenen Arbeitsplatzes auslösen kann, sehen wir gerade live und in Farbe. Das oftmals viel beschworene Ende der Globalisierung wird in dieser Form nicht stattfinden können. Die Konsequenzen so eines Schrittes wären verheerend. Die Arbeitsteilung hat schließlich in den letzten Jahrzehnten zu einem nie gekannten Aufschwung geführt. Armut und Nahrungsknappheit gehen so deutlich zurück wie nie zuvor. Würde man diesen Trend durch verstärkte lokale Produktionen umkehren, würden die Preise in Europa massiv steigen und das zu einem Zeitpunkt, an dem Sparen angesagt ist. Damit würde man die Krise automatisch fortschreiben, das kann nicht im Sinne von uns allen sein.
Bestes Beispiel für die Illusion einer entschleunigten Welt waren für mich die Bilder der zahllosen Kunden vor einem großen schwedischen Möbelhaus. Kaum hatte der Anbieter seine Tore wieder geöffnet, strömten die Massen hinein, als wäre nie etwas gewesen. Ein Zurück in die Zeit vor dem globalen Konsum wird wohl eine Utopie bleiben. Zu stark hat sich die Mehrheit bereits an die Annehmlichkeiten des modernen Lebens gewöhnt, als dass sie noch bereit wären darauf zu verzichten. Klar, wenn man immer nur beschäftigt ist, fällt man irgendwann in ein schwarzes Loch. Dann wird es Zeit seine Prioritäten neu zu setzen. Doch die Gesamtwirtschaft ist dafür offenbar nicht geschaffen. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selbst beurteilen.
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