Es sind zwanzig Minuten gespielt. Das Match ist voll im Gange, mein Puls jedoch schon viel zu hoch. Die Partie verläuft ausgeglichen, nicht ganz so einfach wie nach dem Einspielen erhofft. Der Gegner spielt solide und führt 2:3. Es ist ein gut trainierter 21-jähriger mit einer schönen Technik, der das Tennisspiel offensichtlich von früh auf erlernt hat. Ich versuche konzentriert zu bleiben, doch es gelingt mir nicht. Während sich mein Körper weiterhin bewegt, schweifen meine Gedanken in den folgenden 10 Minuten komplett ab.
Draußen schüttet es in Strömen und die Wassertropfen, die wuchtig auf das Dach der Tennishalle prallen, erzeugen einen gleichmäßigen, fast schon hypnotisierenden Ton. Die großen Beleuchtungskörper an der Decke flackern dezent und werfen ein leicht künstliches Licht auf alle vier Tennisplätze. Mein Blick wandert durch die Halle und erfasst die anderen Spieler, die gerade ebenfalls versuchen verbissen ihr Bestes zu geben. Einige ärgern sich, manche jubeln, doch alle scheinen irgendwie unter Spannung zu stehen. Ich frage mich warum. Es wirkt wie eine gekünstelte Vorstellung ohne großes Publikum. Während mein Gegenüber gut serviert, ich den Ball knapp ins out schlage und es 2:4 steht, drängen sich mir weitere Gedanken auf.
Der Frage “Was mache ich eigentlich hier?” folgt der Fakt “Absolut niemanden interessiert was ich gerade tue.” Weder die Menschen auf den Nebenplätzen, noch die paar Zuschauer die mich gerade beobachten. Ich schlage automatisiert auf während ich, weiter in Gedanken versunken, nachdenke. Einerseits bin ich einer von etwa 20 Menschen in dieser Tennishalle eines kleinen, unbedeutenden Ortes, den so gut wie niemand kennt. Andererseits einer von knapp 8 Milliarden Menschen auf diesem Planeten, von denen 99,99999999% nicht wissen, dass ich existiere. Es geht in diesem Moment um rein nichts, außer um ein paar Punkte in einer unbedeutenden Rangliste und es ist völlig egal, ob ich dieses Tennismatch heute gewinne oder verliere. Es interessiert genauso niemanden ob ich nun 10 spektakuläre Winner in Serie schlage oder den Ball 20 mal ins Out befördere. Der Radius der Aufmerksamkeit eines jeden Anwesenden endet an der Outlinie des eigenen Platzes. Die Erkenntnis fährt mir tief in die Knochen und eine seltsame Gelassenheit stellt sich plötzlich ein. Am Tennisplatz ist sich jeder selbst der Nächste und die geheuchelte Aufmerksamkeit für den anderen endet allerspätestens an der eigenen Haustüre.
Der Radius der Aufmerksamkeit eines jeden Anwesenden endet an der Outlinie des eigenen Platzes.
Jürgen Koller
Es steht inzwischen 2:5 für meinen Gegner. Ich atme tief durch und versuche mich wieder zu konzentrieren. Ich rechtfertige meine Anwesenheit damit, dass ich gerne Tennis spiele und dass dies eine der wenigen Dinge ist, von denen ich fest überzeugt bin, sie gut zu können. Ich spiele das Match konzentriert zu Ende und gewinne es noch 7:5 6:4. Auch wenn es mich freut ist mir bewusst, dass es im großen Kontext gesehen unbedeutend ist und es nichts sein wird, woran ich mich lange erinnern werde.
Ich frage mich warum mir das ständig passiert und meine Gedanken bei jeder noch so unbedeutenden oder bedeutenden Tätigkeit derart abdriften. Warum ich alles was ich tue gegenchecke oder unter einen all zu großen Scheffel der Sinnhaftigkeit stelle. Es lässt sich aber nicht abstellen. So bin ich nun mal gestrickt. Meine innere Stimme ist nie ruhig und analysiert einfach alles was ich wahrnehme. Immer auf der Suche nach Dingen die mich bewegen und Momenten, die mir das Gefühl geben ein gutes und erfülltes Leben zu führen.
Es ist nett, wichtig zu sein. Aber noch wichtiger ist es, nett zu sein.
Roger Federer