Das große Interesse an Biographien verdanke ich meiner Liebe zur Geschichte und zu längst Vergangenem. Die gelebten Leben von bekannten und weniger bekannten Menschen begeistern mich ungemein. Vor allem bei kreativen Menschen ist es faszinierend zu sehen, wie früh sie meist schon ihre Berufung fanden, wie zufällige Begegnungen das ganze Leben beeinflussten oder wie ein Schicksalsschlag das ganze Leben und das ganze Werk prägten. Manche Biographien sind so umfangreich, dass man sich die Frage stellt, wie man vor 100 Jahren schon so oft und häufig reisen und in so kurzer Zeit so vieles erschaffen und erreichen konnte. Manchmal trafen durch Zufall Berühmtheiten aus verschiedenen Genres aufeinander, inspirierten sich gegenseitig und prägten die Welt, wie wir sie heute kennen. Hie und da änderte sich auch von einen Tag auf den anderen – durch eine kaum wahrnehmbare Kleinigkeit oder neue Erkenntnis – das ganze Leben und Werk dieser Menschen.
Geschichte ist die Biographie der Menschheit.
Ludwig Börne
In der Retrospektive sind Biographien für mich immer eines. Inspirierend. Es waren die Leben von Menschen, die vieles erlebt und bedeutsames hinterlassen haben und die – so wie wir heute – unter tausenden von anderen Menschen gelebt haben. Heute lebt allerdings niemand mehr von ihnen, weder die großen Persönlichkeiten, noch die vermeidlich “unbedeutenden Menschen”, über die leider niemand mehr spricht, die aber gewiss auch ihre spannenden Geschichten zu erzählen gehabt hätten. Die Biographien der heutigen, noch lebenden Menschen hingegen, werden gerade erst geschrieben. Jeden Tag kommen neue Zeilen hinzu und jeden Tag gibt es diese besagten Momente, an denen sich Leben zum Guten oder Schlechteren drehen oder an denen so manche Kunst oder Erfindung erst ihre Geburtsstunde erlebt. Es werden aber nicht nur jene Biographien von Künstler, Wissenschaftler, Sportler oder Politiker geschrieben, sondern auch Deine und meine. Oh – ahja, auch meine.
Mein Leben ist also im Grunde genommen nichts anderes, als eine gerade entstehende Biographie. Wenn ich mir diese in einem schön gebundenen Werk vorstelle, sehe ich nichts anderes als eine weiße Seite, voll mit identen Inhalten neben jeder Jahreszahl.
Mein Leben ist nichts anderes als eine gerade entstehende Biographie.
Jürgen Koller
Um ehrlich zu sein, verspüre ich ein bedrückendes Gefühl in mir, wenn ich dieses Blatt Papier vor meinem inneren Auge visualisiere. Von einem Träumer mit großen Vorstellungen, zu einer an Ernüchterung kaum zu übertreffenden Realität, deren Leben Jahr für Jahr mit exakt den gleichen Inhalten gefüllt ist. Tauscht die letzten 10 Jahreszahlen nach belieben aus und ihr werdet immer den gleichen Text lesen. Im Grunde ist mir noch keine Biographie untergekommen, die so belanglos und langweilig war, als meine eigene. Dies mag hart klingen doch allein diese Erkenntnis ist Grund und Anlass genug, den Status quo mehr zu hinterfragen denn je, um die noch nicht geschriebenen Zeilen und Jahreszahlen mit mehr Leben und guten Geschichten zu füllen.
Eine spannende Biographie will erst gelebt, dann erzählt und dann zu Papier gebracht werden. Und wer weiß, vielleicht ist dies ja gerade die notwendige Erkenntnis, der Schlüsselmoment der doch noch alles verändert und meiner Biographie eine neue Wendung gibt.