Gedanken sind für mich wie Wolken. Sie sind fast immer vorhanden. Meist verspielt in abstrakten Formen, manchmal zart, kaum wahrnehmbar und dann wieder drückend schwer, in unglaublichen Massen. Nur an den aller wenigsten Tagen im Jahr ist der Himmel wolkenlos und azurblau. Sind sie auch fast immer präsent, bringe ich sie nur sehr, sehr selten zu Papier. So wie gerade eben.
Während sich andere in exakt diesem Augenblick auf den Malediven ihre Träume erfüllen, liege ich hier kurz vor Mitternacht, in einem Vakuum der absoluten Belanglosigkeit. Benebelt von einer Überdosis Alltag, die stärker wirkt als jede Droge der Welt, versuche ich viel zu müde noch etwas zu reflektieren. Es fällt mir schwer. Gefühle liegen irgendwo tief verschüttet, in den Ruinen der Vergangenheit. Liebe ist längst zum leeren Begriff verkommen und nichts weiteres mehr als ein Wort mit fünf Buchstaben, das mit L beginnt. Wie Lauch oder Lampe. Nach einem kurzen und ehrlichen Blick in den Rückspiegel, gestehe ich mir ein, im Grunde keine Ahnung mehr davon zu haben. So reflektiere ich schlussendlich also doch noch.
Ein Wind kommt auf, die Wolken wandern weiter und münden in neuen Gedankengängen. Während sich manche Tage unendlich ziehen, vergehen die Jahre in unglaublicher Geschwindigkeit. Alte Texte, die ich gefühlt erst eben verfasst habe, sind inzwischen im Teenageralter. Das Leben und alles dazwischen rast Wort wörtlich an mir vorbei und während ich mich links und rechts umblicke, um ein wenig davon zu fassen, ist schon wieder ein weiteres Jahr vergangen. Es ist echt nicht immer einfach.
Gedanken einzufangen und zu Papier zu bringen ist genauso schwierig wie Wolken festzuhalten. Man kann sie nie ganz greifen und das Ergebnis scheint immer ein wenig verfälscht. Wer weiß schon welche Wolken morgen wieder vorbeiziehen, welche aus dem Nichts entstehen oder sich unbemerkt, langsam auflösen. Vielleicht erscheinen auch ein paar von diesen dunklen, tiefsinnigen, die man schon aus der Ferne hören kann – sie sind mir derzeit eindeutig die liebsten.
Gedanken einzufangen und zu Papier zu bringen ist genauso schwierig wie Wolken festzuhalten.
Jürgen Koller